Mittwoch, 14. Oktober 2009
13.10. Willkommen
zur ersten Ausgabe eines Exklusivberichts, die Ergüsse eines strebsamen Taugenichts, wohlmeinend eines Praktikanten, der sich genauso fühlt wie das was er verkörpert.
Beginnen wir mit dem zweiten Tag im Leben eines 0815 Büro/tschobbers: Heute drehte sich das Uhrwerk der Zeit gegen mich. Zumindest kam es mir so vor. Ich stürmte morgens in ähnlicher Weise hastig aus dem Hause, erwischte den ähnlichen Bus, stieg in ähnlicher Weise in die UBahn, besorgte mir in völlig unähnlicher Weise eine Packung Kaugummis, die mir zumindest am zweiten Tag einen frischen Atem bescheren sollten und trotzdem fing der Tag mit einer Verspätung an. Die Türen des Aufzugs öffneten sich und darin stand AK. Sie kam auch zu spät und hatte eine bessere Ausrede. Es war aber egal. Immerhin musste sie das Büro aufsperren und so konnte sie mir nicht böse sein. Nach X Versuchen den Anrufbeantworter und die Rufumleitung aus dem Telefonsystem zu klicken, beim x´ten und fünften Mal gelang es dann tatsächlich, konnte der Tag beginnen.
Doch was macht ein Praktikant in einer Meinungsforschungsagentur eigentlich? Eine berechtigte Frage. An dieser Stelle spule ich noch einmal zurück. Tag eins, ich komme in das Büro und werde zugleich freundlich von AB begrüßt. Sie stellt sich mir vor und gibt mir gleichzeitig eine Führung durch die Firma. Es folgt ein unterhaltsamer Monolog über die Mitarbeiter und Chefitäten des Unternehmens. Ansonsten ist niemand der anderen anwesend. Am Ende des länglichen Flurs ist das Geschäftsführerbüro. Ein Raum mit einer großen Fensterfassade und einer kleinen Dachterrasse ist zu sehen. AB spricht weiter, sie macht einen sympathischen, alternativen/punk Eindruck. Auf der Straße würde ich sie von einer Stimm/Profitwerberin für den WWF kaum unterscheiden können. Doch weder beim Stimmenwerben, noch bei der Meinungsforschung geht es prinzipiell um die Umwelt. Nur um Profit. AK wird mir vorgestellt, sie macht einen freundlicheren Eindruck als bei meinem Vorstellungsgespräch. Mir wird ein eigener Fensterplatz in im Büro am Flur zugewiesen. Ich muss zugeben, mir hat seit der Schulzeit noch nie jemand einen eigenen, persönlichen Platz zugewiesen. Ich als naiver Praktikant bin innerlich sehr erfreut - welch Naivling, ich weiß. Als Praktikant komme ich mir vor als würde ich meinen bereits Jahre hinter mir liegenden Zivildienst nochmals durchleben. Man hat keine großartigen Erwartungen, rechnet prinzipiell mit dem schlimmsten und ist daher leicht zu erfreuen. Diese positive Einstellung hat mir beim Bewerbungsgespräch auch das Praktikum verschafft. AB drückt mir eine gebrannte CD in die Hand, sozusagen die Hausregeln die anstatt auf Stein auf Plastik gemeißelt sind. Ich lese die Hausordnung am PC gleich zweimal ... während alle anderen ebenfalls den Anschein machen als würden sie ihre Arbeit gleich zweimal erledigen, um einen Vorwand für ihr doppelt so langes Tun zu haben. Ich merke, dass es hier irgendwie an Beschäftigungstherapie fehlt. AK beginnt eine Boulevardzeitung aufzufalten und sich zu rechtfertigen, dass sie das normalerweise nicht lesen würde - ich bezweifle ihr Argument spätestens als sie den Leitartikel zitiert. AK beginnt mich in die Routinen des Bürobetriebs einzuführen. Der Vortrag geht mir beim linken Ohr hinein und beim rechten Ohr ebenso fluchs wieder heraus. Die Firma hat mehrere Telefonleitungen von denen manche für eine gesonderte Abteilung, ein Institut reserviert sind. Sollte jemand auf diesen gesonderten Leitungen anrufen, dann habe ich mit dem Namen des Instituts abzuheben. Ansonsten gnade mir Gott und Kopf ab. OK, dank dieser unmissverständlichen Anspielung habe auch ich es verstanden. AK spielt mit mir einen Probeanruf durch nd verschwindet in einem anderen Zimmer. Das Telefon läutet und ich hebe ab. Ich gebe den richtigen Firmennamen von mir, richtiger Name, richtige Leitung, Glück gehabt. Heute ist doch kein Tag zum Köpfe hacken. Ich erfahre, dass sich eine weibliche Praktikantin namens P in der Firma befindet. Sie macht das Praktikum freiwillig und scheint schon einige Zeit vor mir angefangen zu haben. P macht auf mich einen bezaubernden Eindruck. Ich finde sie hübsch. Innere und Äußere Werte scheinen bei ihr zu harmonieren, ein Glücksgriff für die Firma, eine schöne Zeit für mich. Sie weist mich in die Klientendatenbank ein. Ihr Parfüm übertüncht ihre Hustenanfälle, ihr Atem wirkt frisch und ich lasse mich willig mit ihren Schnupfenbazillen besprühen. Meine Beschäftigungstherapie scheint angefangen zu haben. Daten eingeben ist die Devise. Eine Tantalos Arbeit, die jeden alten Griechen zur Verzweiflung gebracht hätte beginnt. Die Odyssee ist für mich nur halb so schlimm, nicht denken, schreiben ist mein Kredo. Meine über 200 Pflichtpraktikastunden werde ich auch mit einer monotonen Aufgabe hinter mich bringen können. Ich bin eher der Gewohnheitsmensch. Man könnte mir jeden Morgen wie einer Fliege eine Zeitung vor´s Gesicht klatschen und ich werde ich mich nach kurzer daran gewöhnen: Der Praktikant erledigt seinen Dienst nach Vorschrift und beginnt selbständig zu arbeiten... ahhhhrbeiten, endlich. Dann passiert etwas ungewöhnliches. AK, die ansonsten auch keinen allzu gewöhnlichen Eindruck macht beginnt zu lästern. Sie wird immer unruhiger und sie gibt ihren Unmut laut Kund. Mit ihr spreche niemand mehr. Sie weiß von nichts, nicht einmal wenn neue Leute eingestellt werden - das war wohl ein kleiner Seitenhieb auf mich. Ich tue so als würde ich alles ignorieren und als unaufmerksame Arbeitsdrohne passiv weiter arbeiten. AK telefoniert mit der Büroleitung. Sie beginnt sich zu entladen und ihrem aufgestauten Frust freien zu lassen. Sie beginnt mir leid zu tun. Irgendetwas ist hier merkwürdig. In mir beschleicht sich die Annahme dass etwas nicht stimme. AK verfällt in eine weinerliche Stimme. Es ist ein offenes Gespräch, kein verbittertes. Wenig später teilt mir P mit dass AK von der Firma entlassen wird - ich solle nicht darüber sprechen. In diesem Moment beginnen sich in den Wirrungen meines Kopfes viele Thesen zusammenzufügen. P wird mitgeteilt, dass sie aus Fleiß morgen nicht in die Firma kommen müsse. Schade bzw. herausfordernd für mich, da ich dann der einzige Praktikant sein werde. Nach Verlassen von AB ist nur mehr MZ in der Firma. Er hat sich mit seiner Tasse in sein Büro zurückgezogen. Ich ziehe den Hut und halte als Praktikant zweiter Klasse weitgehende Distanz. In leeren Firma wird es ruhig und ich nutze die Gelegenheit mit P zu sprechen. Sie wird mir sympathisch. Sie zog gerade erst hier her, in anderen Städten habe es ihr entweder nicht gefallen oder sie habe dort keinen Studienplatz gefunden - es lebe die Zugangsbeschränkung. Mangels Alternativen aber auch aus alter Verbundenheit landete sie also hier, in dieser Firma und in dieser Stadt, genauso wie ihr Freund, den sie mit einem steten Plural immer mitschwingen ließ. Sie hat einen Freund? Halb so schlimm denke ich mir, ich möchte mit P ja eigentlich nur gut auskommen. Die PCs werden heruntergefahren, die Rufumleitung aktiviert und die Firma verlassen.
Punkt, hier sind wir. Endlich beim Tag 2. Die Fahrstuhlszene wirkte genauso künstlich wie filmreif. Ich war zu spät, AK ebenso. Sie steckte im Stau, während ich hingegen in meiner eigenen Welt ständig von Natur aus zu spät kam. Wir sperrten gemeinsam die Firmentüre auf. Noch keiner war hier. Es dauerte seine Zeit bis A der Lehrling eintrudelte. A ist autistisch veranlagt aber ansonsten ein netter Kerl. Er kann nur eine Aufgabe nach der anderen Erledigen, aber dafür mit viel eifer. Tja, diese Personenbeschreibung könnte fast auf mich zutreffen. Sicherlich bin ich irgendwie auch notorischer Autist und noch vieles mehr. Die Anrufe trudelten ein, der Telefondienst wurde zu meinem Privileg. Eine entbehrliche Bürde, die an einem gutgläubigen Praktikanten bestimmt immer gerne hängen bleibt. Es war die Vermieterin, AK brachte mir bei immer nach dem Grund zu fragen, selbst wenn es mich nicht interessierte. Egal, ich riss mich zusammen und wollte den Grund des Anrufs erfragen. Prompt kam auch die Antwort... die Miete sei ausständig und die Geschäftsleitung wollte gesprochen werden. Tja, dachte ich mir, falls diese nicht gerade in Südamerika weilte um sich den langen Fühlern der hiesigen Finanz zu entziehen, wusste ich in dem Moment leider auch nicht wo sich jemand von denen befand. Name und Nummer wurden notiert, es wurde routinegemäß versprochen zurückzurufen. Nachdem wir immer noch nur zu dritt waren musste ich die Arbeit fortsetzen, mit der ich gestern allen gelassen wurde. Zwei dicke Ordner machten den Tisch voll und mussten in die Klientendatenbank integriert werden. Ich freute mich, wieder eine Tagesaufgabe, eine Beschäftigungstherapie für einen Praktikanten der just danach strebte fleißig zu sein, selbst wenn die Arbeit mehr eine Sache für das verstaubte Archiv und für den Keller der Ewigkeit sei, als für irgend etwas anderes oder gar nützliches. Egal, ich begann zu tippseln. Ich tippte sogar die ganze Mittagspause durch, alles andere war mir egal. Fast, ab und zu läutete das Telefon. Zum Glück macht es mich nicht um einen Kopf kürzer. Ich hob jeweils dem Firmenwortlaut entsprechend korrekt ab. Wow, die Tatsache insgesamt fast zwei Jahrzehte an Schul- und Studienausbildung genossen zu haben um korrekt vom Telefon abzuheben, verblüffte mich mit einer Leichtigkeit, die nur einer zartbitteren ironischen Einsicht entstammen konnte. Ich sprach nun AK auf ihr gestriges Gespräch an und warum ihr gekündigt wurde. Mit offener Miene teilte sie mir mit dass die Firma derzeit kein Geld habe. Insofern konnte sie die Umstände verstehen. Nicht verstehen konnte sie allerdings die Art und Weise wie mit ihr umgegangen wurde. Sie fühlte sich völlig ausgegrenzt und isoliert. Stattdessen plane man Teilzeitkräfte anzustellen. Warum man dabei nicht an sie als Teilzeitbeschäftigte gedacht habe, sondern an jemand völlig neuen war ihr unbegreiflich. Im Laufe des Tages bemerkte ich auch wie unentbehrlich AK für die Firma eigentlich ist. Sie ist so etwas wie die zentrale Schaltstelle, passt darauf auf dass Informationen von außen weitergeleitet werden und dass die Mitarbeiter nicht zu spät kämen, bis hin zur benötigten Kepplerei dass die Kaffeemaschine stets sauber zu halten sei. Was wird die Firma ohne sie machen? Just schoss mir in den Kopf, dass mir bei meinem Vorstellungsgespräch gesagt wurde, dass auf mich viel Stress zu käme. Mir kam abrupt der Gedanke, dass ich vielleicht temporär eingestellt wurde um AK zu vertreten? OMG, die Sklaverei des Praktikantentums und die Tyrannei der Wirtschaft ging an mir nicht ungeschoren vorbei. Warum hat jede Sache einen Haken? Sollte ein Praktikant tatsächlich eine Sekretärin ersetzen? Und prompt bekam ich zur Bestätigung meiner Überlegung am zweiten Tag bereits meinen Firmenschlüssel ausgehändigt. Ich bin plötzlich die 40 Stundenkraft, die alles schafft. Ja, sogar die eigene Selbstaufgabe. AK meine sie würde am liebsten krank werden, sich mit einer Grippe infizieren und sich Krank schreiben lassen. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Doch wer hob dann vom Hörer ab? Augenscheinlich ich. Ich fühlte mich plötzlich als Gefangener auf der Bounty. Wer verließe zuerst das sinkende Schiff? Stünde das Unternehmen kurz vor der Pleite? Mir und meinem geringen Praktikantengehalt konnte es zwar egal sein aber warum ich ausgerechnet gerade jetzt zu dieser Firma gestoßen bin, war ein unglücklicher Wink des Schicksals. Eine Firma der es nicht gut geht, das bekommt auch die Belegschaft ab und so macht Arbeit an sich wenig Spaß. Einer der Geschäftsführer, MS kam um die Ecke. Es war mein erster Kontakt zu ihm, seit meinem Bewerbungsgespräch. Ich reduzierte mich auf meine Rolle des in mich gekehrten Praktikanten und tippselte weiter in die Datenbank ein. Es war absurd. Ständig ging mir durch den Kopf, ob ich hier Karteileichen bearbeiten würde, die ohnehin niemand mehr brauche. Im Hintergrund werkelten die Monteure für die neue Telefonanlage. Die neue Anlage schien offenbar wichtiger als die alte Sekretärin zu sein, die sie bedienen sollte. MS kam zu uns und meinte er brauche einen Server PC für die neue Anlage. Es wurde ausgeknobelt welcher Arbeits PC von welchem Mitarbeiter für diese Aufgabe geopfert werden musste. AK hatte dagegen die zündende Idee einen alten PC aus der Ecke zu kramen. Ich probierte diesen aus und tatsächlich, er funktionierte einwandfrei. Der PC war gerettet aber der Tag noch lange nicht. Da AB ebenso wie P heute blau machte hatte ich niemanden der mir Arbeit instruieren konnte, daher tippselte ich weiter in meine Datenbank ein. Ich bemerkte dass einige Daten doppelt eingegeben wurde und bekam die Panik. Der Tag sollte nicht damit enden, dass ich meine sinnlose Beschäftigung noch dazu völlig falsch gemacht habe. Ich versuchte die Fehler halbwegs zu korrigieren. Dafür wurde ich allerdings nicht mehr mit meiner Mappe fertig. Es war hoffnungslos. Der autistische Lehrling A bekam mit mir den Auftrag zur Post zu gehen. So geschehen marschierten wir auf das Amt und es stellte sich heraus, dass wir um 3 EUR zu wenig dabei hatten. Meine eigene Geldbörse hatte ich in der Arbeit vergessen und so blieb mir nichts anderes als zu versprechen, dass ich das Geld im Tausch mit der Quittung nachbringen werde. Gesagt getan, zurück ins Büro wo uns AK schon sehnsüchtig erwartete, letztes Hab und Gut holen, Rufumleitung aktivieren, Schnappschloss zu und adios. Die 3 EUR für die Post legte ich aus eigener Tasche aus, weil die Bürokasse bereits gähnend leer war. Am Heimweg von der Post lief mir noch EH über den Weg. Sie war auch eine entzückende Kollegin mit einer Zahnspange. Wir teilten uns einen Arbeitsplatz und sie saß den Tag über neben mir. Genauer gesagt wurde mir ihr Arbeitsplatz zugewiesen und sie musste sich zwangsläufig an jenen Platz neben meinem setzen. Mich beschlich der Verdacht, dass die Geschäftsleitung Geschmack hatte und gerne Mitarbeiterinnen einstellte, die sich sowohl äußerlich als auch innerlich in immanentem Einklang mit ihrer Selbst standen, spricht anzüglich, hübsch und blond waren ohne an Mangel von Intelligenz zu leiden. Egal, der Tag war gegessen und ich quetschte mich eine Ubahn, die mehr einem Schlauch glich, der von Innen nach außen zu platzen drohte.